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The Weekender : Jona Piehl

DER EICHENMANN

The Weekender, No 05 / Fruhjahr 2012

Der Brite Stephen Taylor hat drei Jahre lang ein und dieselbe 250 Jahre alte Eiche auf einem Feld in East Anglia gemalt. Begegnung mit einem disziplinierten Beobachter.

 

Auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Stephen Taylor laufe ich vom ehemaligen Kornspeicher oberhalb des Regent Canals, in dem seit vergangenem September das Central Saint Martins College beheimatet ist, in Richtung Kings Cross Station. Der neu angelegte Fußweg hat eine grau-beige Farbe und die Beschaffenheit festgeklebten Sands. Hier und da stehen verloren ein paar struppige Bäumchen herum, vielleicht Platanen - die sind beliebt bei Landschaftsarchitekten. Mit Sicherheit aber keine Eichen. Eichen gehören zur kleinen Gruppe von Bäumen, die ich zumindest an ihrer Blattform eindeutig identifizieren kann. Aber was ist mit Rotbuchen, Erlen, Weiden, Ahornen, Kastanien, Linden und dem Rest des deutschen Mischwaldes? Hier inmitten der Großstadt, umgeben von älteren und neueren Wahrzeichen industriellen Fortschritts, bin ich mir gerade nicht so sicher. Das endlose Blattmuster auf den Baustellenabsperrungen, die ich passiere, sieht auch eher aus wie etwas, das sich ein Grafikdesigner ausgedacht hat: Hauptsache, schön grün. Gibt es eigentlich einen typischen englischen Mischwald? 

Wir sind vor dem Zeitungsladen in der Bahnhofshalle verabredet, und bevor ich noch überlegen kann, wie ich ihn im Feierabendgewühle erkennen soll, hat er mich schon gefunden. Ich weiß nicht, wie ich mir jemanden vorgestellt hatte, der drei Jahre lang ein und dieselbe 250 Jahre alte Eiche auf einem Feld in East Anglia gemalt hat - bei Tag und Nacht, im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, bei Regen und bei Sonnenschein, umgeben von Raps-, Weizen- und Gerstefeldern. Aber Stephen Taylor wirkt so weit sehr normal. 


In seinen vorherigen Projekten habe er meist Panoramen gemalt, erzählt Stephen, Zusammenfassungen von ganzen Landschaften also. Irgendwann sei dann der Moment gekommen, sich den kleinen Ereignissen zu widmen. Wieso gerade eine Eiche, möchte ich von ihm wissen. Schließlich ist die Eiche auch in England durchaus symbolträchtig. Die Spanne der Geschichten und Verweise reicht von den heidnischen Sagen und Druidenmythen über die ehemals hölzernen Schiffe der englischen Marine (Stärke! Durchhaltekraft!) bis hin zum heutigen Symbol des National Trust, der größten Stiftung zum Erhalt von Natur- und Kulturerbe in England. Und nicht zuletzt gehört "Royal Oak" neben "Red Lion" und "Crown" zu den häufigsten englischen Pub-Namen. 

All dies sei nicht ausschlaggebend gewesen, antwortet Stephen. Der Baum war ihm vielmehr schon in den Jahren zuvor aufgefallen, während er rund um die nahe gelegene Farm von Freunden arbeitete. Seine klare Form, die sich gut gegen den Himmel und die Felder abhebt, erschien Stephen perfekt für eine Bildserie, die     /PAGE END/    nicht von einem Konzept bestimmt sein sollte, sondern vom Malen selbst. Stephen beschreibt seinen Arbeitsprozess als diszipliniertes Beobachten, als Entdecken der Formen und Farben in der Landschaft "Malen ist für mich der Weg, die Welt zu finden".  Dabei sei Landschaftsmalerei die größte Herausforderung, weil hier, im Gegensatz zur städtischen Umgebung, die Formen noch nicht beschrieben sind. Wenn man Häuser oder Objekte betrachtet, dann findet man nur For-men, die schon jemand anderes gesehen und gezeichnet hat. In der Landschaft hingegen findet sich noch visuelles Roh-material - wobei natürlich auch Stephens Eiche zwischen modern landwirtschaftlich bestellten Feldern steht.

Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit demselben Ort, diese Mischung aus bekannt und fremd, ermöglicht den Blick auf Details, auf die kleinen, fast unsichtbaren Veränderungen. Stephen sieht sich nicht als Erforscher eines unbekannten Landes, vielmehr ist es "ein Spiel mit Thema und Variation und die Herausforderung, wieder und wieder neue Ansichten und neue Welten innerhalb des schon Vertrauten zu finden". Insgesamt entstanden so fünfzig Gemälde, die kürzlich als Buch "Oak" veröffentlicht wurden. 

Wir unterhalten uns über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Bilder zu betrachten und zu gruppieren. Sie können nach formalen Aspekten angeordnet werden: Perspektive, Ausschnitt, Detail - oder aber chronologisch: die Eiche im Laufe der Zeit. Gibt es ein erstes und ein letztes Bild? Verändert sich eine Eiche innerhalb von drei Jahren? Was für eine Beziehung entwickelt man zu einem Baum, wenn man ihn immer wieder aufs Neue malt? Mich faszinieren vor allem die Geschichten rund um den Baum, die Anekdoten von schlechtem Wetter und besonderen Momenten. Zum Beispiel die Geschichte von dem Tag, an dem Stephen Besuch von einem Field Ecologist hatte und sie die Eiche so eingehend studiert haben, dass es eine Stunde gedauert hat, bis sie sie umrundet hatten. Und dabei eine hornförmige, in dieser Gegend noch unbekannte Variante der Eichengalle entdeckt haben, die von der Gallwespe Andricus aries verursacht wird. Oder wie er gelernt hat, nach und nach das Verhalten der Buchfinken zu verstehen, dass diese sich ganz bestimmte Zweige aussuchen, um ihre Brust der Sonne entgegenzustrecken.


Für Stephen hingegen stehen eher die formalen Reihungen im Vordergrund. Angesichts einer weitestgehend festgelegten Bildkomposition stand für ihn am Anfang jedes Bildes die Wahl des Formats und des Ausschnitts: Von welchem Blickwinkel aus wird die Eiche gesehen und aus welcher Entfernung? Auch wenn  aus dem Arbeitsprozess oder der retrospektiven Betrachtung Geschichten entstehen, ist Stephens Hauptanliegen die exakte Entschlüsselung der Farben und Farbklänge, und die Definition und Umsetzung dieser Farbpalette gehört zu den wichtigsten Entscheidungen seiner Malerei. Dafür fertigt Stephen zunächst Reihen von Fotografien sowie analoge und digitale Farbskizzen an, um die Zusammensetzung und Schichtung von Farbtönen, Helligkeit, Dunkelheit und Sättigung zu entwickeln. "Die Nachbilder waren dabei die überraschends ten, weil ich vorher nie so genau wusste, was am Ende dabei herauskommen würde."

Meistens wusste Stephen schon während der Arbeit an einem Bild, mit    welchem Blickwinkel er als Nächstes arbeiten wollte - wobei er für das Bild mit dem blühenden Rapsfeld im Vordergrund wegen der Fruchtfolge drei Jahre ausharren musste.

Als ich das erste Mal die Bilder der Eiche sah und ihre Beschreibung las, fühlte ich mich schon wegen der geografischen Überlappung zunächst an W. G. Sebalds "Die Ringe des Saturn" erinnert. Hier verwebt Sebald mehrere scheinbar nicht verwandte Erzählstränge über die Beschreibung der jeweiligen Orte seiner Wanderung durch East Anglia. Die Arbeit von Stephen Taylor ist aber eher ein Gegenteil: ein konzentriertes Zurückkehren an den immer wieder gleichen Ort, um in dessen Beschreibung mehr und mehr Details zu finden, ohne ihn dabei mit anderen Geschichten aufzuladen oder zu verfremden. Was erwartet er von dem Betrachter seiner Bilder? "Dass sie die Bilder nicht nur konsumieren, sondern aktiv sehen - dass sie das Sehen fühlen."

 

"Malen ist für mich der Weg, die Welt zu finden"

 

Jona Piehl,  2012

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